- Theologie, Ekklesiologie und Frömmigkeit
Die Attraktivität der Herrnhuter Brüdergemeine des 18. Jahrhunderts beruhte wesentlich auf Neuerungen und eigenen Akzentsetzungen in Theologie und Frömmigkeit. Die Tagung möchte zentralen Themen wie Christozentrismus und Heilandsemotionalität, Schriftverständnis und Schriftpraxis, Religionsbegriff und Gotteserkenntnis nachgehen, aber auch Themen wie Frömmigkeit und Selbstreflexion (Briefe, Tagebücher, Berichte), gottesdienstliche Formen und Feste sowie die Sprache in Liedern, Gebeten und Ansprachen untersuchen.
Wie keine andere christliche Gruppierung des 18. Jahrhunderts suchten die Herrnhuter Kontakt und Gemeinschaft mit anderen Konfessionen, Kirchen und Gruppen. Die Tagung fragt daher nach den zugrunde liegenden theologischen und ekklesiologischen Konzepten und Einflüssen (z.B. Mährische Brüderunität, radikaler Pietismus, Hallescher Pietismus, lutherische Theologie) sowie nach dem Austausch und den Begegnungen mit unterschiedlichen Strömungen und Gruppen (Aufklärung, Halle, radikaler Pietismus, Evangelicals, Methodismus). Dabei soll auch untersucht werden, wie diese Faktoren zur Ausbildung einer Identität der Brüdergemeine, eigenen Traditionen und Überlieferungen (Historiographie) führte.
- Kultureller Wandel und die Ausprägung eigener sozialer und religiöser Lebensformen
Mit den Neuerungen in Theologie und Frömmigkeit waren neue Formen der Gemeindeorganisation (Chorsystem), neue Ämter (z.B. Ältestinnen), Strukturen und Praktiken (Losentscheid) verbunden. Aufmerksamkeit verdienen insbesondere auch das theologische Genderkonzept Zinzendorfs und die realen Geschlechterbeziehungen in den Brüdergemeinden des 18. Jahrhunderts, die Praxis des Schreibens von Lebensläufen, Erinnerungskultur, Totengedächtnis und Archivpraxis sowie die Herrnhuter Siedlungen und ihre Architektur. Darüber hinaus sind Musik, Kunst und Kunsthandwerk, Pädagogik, Medizin und Ökonomie von Interesse.
- Mission, Disapora und globale Vernetzung
Die „globale Gemeinschaft“ der Herrnhuter Brüdergemeine (G. Mettele) und ihre hohe Mobilität sollen hinsichtlich ihrer Grundlagen, den theologischen Konzepten für Mission und Diasporaarbeit, und hinsichtlich der konkreten Arbeit untersucht werden. Von Interesse sind neben der „punktuellen globalen Präsenz“ (H. Lehmann) die europäischen Schwerpunkte in Skandinavien und dem Baltikum, in der Schweiz, Ungarn, im Orient und in den orthodox geprägten Ländern sowie die Kommunikationsformen und -netzwerke der Herrnhuter. Darüber hinaus sollen Themen wie kultureller Austausch, die Sprache und Übersetzungen behandelt werden.
- Wirkungsgeschichte
Die Tagung möchte die Kenntnis der Rezeption und Wirkungsgeschichte der herrnhutischen Theologie, Frömmigkeit und Praxis verbreitern. Neben dem Einfluss auf bekannte Personen der europäischen Geschichte (J.W. v. Goethe, J. Wesley, F. Schleiermacher, William Blake, S. Kierkegaard u.a.) sollen die Einflüsse auf die Ausprägung einzelner Länder (z.B. Estland, Lettland) und auf die religiösen Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts untersucht werden.